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Vom „Mythos Kiel“ zum Anthropozän

30. November 2017

Zum fünfzigsten Jubiläum des Geographentags von 1969 wird der nächste Deutsche Kongress für Geographie 2019 erneut in Kiel stattfinden. Prof. Hans Gebhardt von der Universität Heidelberg nahm dies im Kolloquium des Geographischen Instituts am 29. November zum Anlass, die Entwicklung der Humangeographie im letzten halben Jahrhundert auf den Prüfstand zu stellen. In Kiel hatte 1969 eine studentische Initiative vor dem Hintergrund der allgemeinen Studierendenproteste eine Umorientierung der traditionellen, idiographisch und deskriptiv ausgerichteten Geographie in Deutschland angestoßen. Während die versammelten Ordinarien entsetzt auf diesen Protest reagierten, bot der Gründungsdirektor des Geographischen Instituts an der RUB, Prof. Peter Schöller (1923-1988), den Studierenden damals in seiner Fachsitzung ein Forum (vgl. Wirth 1988, S. 253). Die tatsächliche Bedeutung der Veranstaltung für die weitere Disziplinentwicklung sei aber nachträglich im "Mythos Kiel" überhöht worden, betonte Gebhardt. Prof. Gebhardt charakterisierte die Humangeographie als Multiperspektivenfach mit raumwissenschaftlichen, handlungsorientierten, politökonomischen und poststrukturalistischen Sichtweisen. Dabei lassen sich seit 1969 zwei Entwicklungspfade unterscheiden: den erfolgreichen modernistischen, dem analytisch-szientistischen Paradigma folgenden und den (in Deutschland) weitgehend marginalisierten, tendenziell an "linken" politökonomischen Theorien orientierten. Im zweiten Teil seines Vortrags ging der Referent auf aktuelle konzeptionelle Ansätze ein, in denen sich jenseits des "Starrens auf Repräsentationen" (performative Ansätze, affirmative und affektive Geographien, Assemblage-Theorien und "flache" Ontologien etc.) eine Rückkehr zur Materialität erkennen ließe, und zeigte aktuelle Forschungsthemen auf. Unter anderem setzte er sich in einem kurzen Exkurs kritisch mit dem derzeit diskutierten "Anthropozän-Konzept" auseinander und warnte die Geographie davor, diesen Diskurs anderen Disziplinen wie der Geologie zu überlassen. Der abschließende Vortrag der Kolloquiumsreihe "Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Aus der Geschichte lernen für die Zukunft der Geographie" findet am 17. Januar 2018 von 16-18 Uhr c.t. in HZO 100 statt. Darin reflektiert Dr. Hans Stallmann (Universitätsallianz Ruhr) die Entstehung und Entwicklung der Hochschullandschaft im Ruhrgebiet und beleuchtet die aktuellen Herausforderungen für die Wissenschaftsregion Ruhr. Prof. Gerhardt wird am 11. April 2018 um 19.00 Uhr erneut in Bochum zu Gast sein, um bei der Gesellschaft für Geographie und Geologie (www.geo-bochum.de) über den "Aralsee - Wirklich eine ökologische Katastrophe?" zu referieren. Bochum, 30. November 2017 Prof. Dr. Matthias Kiese Literatur Wirth, E., 1988: Peter Schöller 1923-1988. In: ERDKUNDE, 42(4), S. 249-261. https://www.erdkunde.uni-bonn.de/archive/1988/peter-schoeller-1923-1988/at_download/attachment [30.11.2017].
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Autor:
Kiese